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3.2. Angebliche Freiheit. Flexibilität vs. ständiges Gefühl der Instabilität.

 

Willkommen in der Selbstständigen-Welt:

Ständig selbst, selbst und ständig, Selbstuntersuchung, Selbsterkenntnis, Selbstmitleid, Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, Selbstüberwindung, Selbsprekarisierung, Selbstüberwachung,  Selbstausbeutung, Selbstschuldigkeit, Selbstverständlich.

 

Zum Glück muss ich morgens nicht für die Arbeit aufstehen, niemand befiehlt es mir. Die Wahl meines Berufes wird durch "Liebe" verursacht. Man sollte beim Begriff Arbeit aus Liebe jedoch vorsichtig sein - er kann gegen uns verwendet werden. Es kann, wie Miya Tokumitsu in dem Artikel “In the name of love” schreibt: ”may be the most elegant anti-worker ideology around. (...) Nothing makes exploitation go down easier than convincing workers that they are doing what they love.”(Miya, Tokumitsu,  In the Name of Love, jacobinmag.com, https://www.jacobinmag.com/2014/01/in-the-name-of-love)

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Im Kreativbereich sind wir in der Lage, uns an verschiedene Gegebenheiten anzupassen. Wir können unsere Bildung ständig weiterentwickeln und verbessern und müssen dies sogar tun. Sowieso kann ich mich nicht lange an einer Sache oder Technik festhalten, ich bin von etwas anderem angezogen. Unabhängig von den Wohnverhältnissen, dem Atelier oder dem Mangel bin ich immer bereit, die Form meiner aktuellen künstlerischen Tätigkeit anzupassen. Gerade arbeite ich mit einem Laptop, einer Festplatte und einem Handy, dafür brauche ich nicht viel Platz. Außerdem kann ich nachts ruhig arbeiten, wenn ich will, und bis 18 Uhr schlafen. Jedenfalls muss ich nicht laut sein. Es gab Wochen, in denen ich einschlief, als die Sonne hoch am Himmel stand. Es machte in meinem Zimmer mit Blick auf  die Mauer ohnehin keinen Unterschied. Nur, dass ich einige Zeit an Schlaflosigkeit litt, wirkte sich aus: Aufgaben, die ich erledigen sollte, die ich erfinden, planen und ausführen muss, um weiterzuarbeiten und etwas Geld zu verdienen, schwirrten durch meinen Kopf. Die Suche nach Lösungen, um nicht unbefriedigender Arbeit nachgehen zu müssen, um morgens nicht mit diesen neuen und alten Aufgaben im Kopf aufzustehen, ständig neue Ideen, all dies wechselte mit dem Tempo eines Stroboskops so schnell in meinem Kopf, dass ich sowieso nicht einschlafen konnte. Durch dieses Denken, kontinuierliches Planen und Ergreifen jeder Gelegenheit, um mithalten zu können, bin ich so müde, dass ich die grundlegenden Dinge meines Privatlebens vergesse. Mein kleines Zimmer ist voller Chaos. Was für ein Unterschied, sich zu arrangieren macht keinen Sinn, ich kann nicht hier bleiben, aber ich kann immer noch kein neues Zimmer finden. Niemand antwortet auf Zimmeranfragen auf WG-Gesucht, Studenten WG und WG Company. Unter dem Schreibtisch  mit verschiedenen Notizen über aktuelle, spätere und geplante Projekte (die bereits erwähnte Schublade ist schon voll) befindet sich ein Stapel ungewaschener Kleidung, daneben quillt eine Mülltonne mit leeren Convenience-Food-Verpackungen über. Ich koche nicht für mich. Ich weiß, es ist auch nicht gut. Eine wirklich emanzipierte Frau sollte auf sich selbst aufpassen können. Ich kann in den Urlaub fahren, ich muss keine*n Chef*in um Erlaubnis bitten. Niemand steht über mir und sagt mir, was ich tun soll. Ich bin nicht weisungsgebunden. Ich muss nichts niemandem erklären, ich bin für mich selbst, frei. Ich habe jedoch keine Lust in Urlaub zu fahren. Ich reise oft, wenn ein Projekt es erfordert. Die Reisen irritieren mich eben. 

 

Misst, ich habe schon wieder eine Frist verpasst, diesmal war es die Steuererklärung. Was für eine Absurdität. Warum stundenlang diese Tabellen füllen, wenn der Gewinn immer noch negativ ausfällt. Hauptsache ich habe keine Schulden... nur das ständige Schuldgefühl, dass ich zu wenig arbeite.

 

Ich habe kaum Privatleben. Ich spreche mit meiner Familie und  meinen Freunden meistens über die Arbeit - ich schätze ihre Feedbacks sehr. Das Telefon ist immer an, wenn ich nicht antworten kann, rufe ich so schnell wie möglich zurück - um nicht zu enttäuschen und keine Arbeitsgelegenheit zu verpassen. Ich stehe jederzeit für Einladungen für irgendwelche interessante Projekte zur Verfügung. Manchmal halten mich wirklich nur WhatsApp, Messenger, E-Mails und Telefonate davon ab in Ruhe mein fertiges Sandwich vom Supermarkt zu essen.

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